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Für (mehr) konstruktive Kritik im Web

Disclaimer: Ich nehme mich selbst von dem hier beschriebenen Verhalten nicht aus. Ich beziehe mich hier nicht auf konkrete Fälle, sondern auf Beobachtungen über einen längeren Zeitraum aus verschiedenen Quellen.

Mir fällt schon seit geraumer Zeit immer wieder eine meines Erachtens wenig erstrebenswerte, wenig sinnvolle und wenig zielführende Einstellung unter Webworkern (aber auch Webnutzern) auf: Eine eindeutige Vorliebe für destruktive Kritik. Wir entwickeln und pflegen ein Bild der „im Web lebenden und arbeitenden“ Menschen, welches man als „Angry Nerds“ bezeichnen könnte – eine Einstellung, die kommuniziert: „Dieses ist meine Meinung zu einem Thema, sie ist die einzig richtige. Wer anderer Meinung ist, hat keine Ahnung.“ Man findet sie überall – in Blogartikeln, Kommentaren, Tweets und Podcasts, auf Mailinglisten und in Webforen.

Woher dieser allgemeine Unmut?

Ich bin mir unschlüssig, woher diese Einstellung genau kommt. Möglich, dass es daran liegt, dass es im Grunde (Stichwort: Browser) unser Job ist, die Fehler anderer zu kaschieren, und dass wir gerade in diesem Bereich lernen mussten, dass nicht jeder Kritik postwendend annimmt und umsetzt. Vielleicht ist es auch einfach Teil der Kultur technischer Berufe, maximale Intoleranz Fehlern gegenüber „cool“ zu finden. Eventuell ist es gar einfach nur die Reflexion einer generell meckernden Gesellschaft innerhalb einer bestimmten Gruppe.

Selbstverständlich müssen Fehler angesprochen werden, natürlich soll Kritik erlaubt sein – darum geht es mir nicht. Ich glaube lediglich, dass sowohl die Annahme der Kritik als auch die Wahrnehmung dessen, der sie äußert, deutlich positiver ausfällt, wenn sie konstruktiv, freundlich und gelassen geäußert wird. Nebenbei ist das auch viel besser für den eigenen Blutdruck, ganz zu schweigen von der berüchtigten „Online-Reputation“. Aber ganz fernab von der eigenen Selbstdarstellung (und damit -vermarktung) im Web bremst destruktive Kritik auch die eigene Arbeit aus.

Machen statt meckern

Sich über schlecht gemachte Webseiten oder nicht funktionierende Software, über Kollegen oder Kunden aufzuregen ist verschwendete Zeit und Energie. Der bloße Vorwurf: „Das ist schlecht gemacht.“ wird in den meisten Fällen ohnehin nicht die gewünschte Reaktion nach sich ziehen – eher im Gegenteil. So menschlich es ist, angesichts schlecht gemachter Arbeit einen gewissen Unmut zu verspüren, so wenig bringt es praktisch, ihn lautstark zu äußern. Wenn überhaupt (das darf in Einzelfällen durchaus bezweifelt werden), dann erreicht man über konstruktive Kritik eine Veränderung.

Ich habe die Theorie, dass in jedem vernünftigen Webworker ein Lehrer steckt. Wir sind es gewöhnt, unser Wissen aus (Blog-)Artikeln zu beziehen, weil diese Form für unseren Fachbereich um ein Vielfaches effizienter und geeigneter ist als klassische Formen der Vermittlung von Wissen; deshalb geben wir es in dieser Form auch gerne weiter. Ein Lehrer aber, der seinem Schüler sagt: „Das wird so aber nichts, Du bleibst sicherlich sitzen.“ ist ein ausgesprochen schlechter Lehrer. Ein guter Lehrer wird stets versuchen, selbst den vermeintlich hoffnungslosen Schülern zu helfen, den richtigen Lösungsweg zu finden.

Was wir brauchen sind weniger in die Höhe gereckte Nasen, die herabblicken, und mehr Kommunikation auf Augenhöhe; weniger „Du kannst ja gar nichts!“ und mehr „Warum machst Du das nicht so?“; weniger „Gammelcode!“ und mehr „Da hat mal jemand einen richtig guten Job gemacht!“ Immer im Hinterkopf behalten: Die Basis des Webs war und ist Kollaboration, die nur in Form konstruktiven Teamworks funktionieren kann.