Wie ein Ei dem anderen
Die Tage stolperte ich über einen Bekannten über die neu relaunchte Website eines Unternehmens; beide werde ich namentlich nicht nennen, weil besagte Website mich letztlich nur an einen Trend erinnert hat, der mir schon länger unangenehm auffällt. Es ist nur in diesem Fall ungleich frappierender, kommt besagtes Unternehmen doch aus einer Branche, die quasi mit Alleinstellungsmerkmalen arbeitet, und legt Wert darauf, den eigenen Arbeitsansatz als kreativ und innovativ darzustellen. So weit, so gut.
Von einem innovativen Kreativbetrieb würde ich eigentlich eine „gewagte“ Website erwarten. Innovation und Kreativität, vor allem aber auch: Dinge anders machen, sich aus der Masse abheben (wollen), mehr als andere in die eigene Selbstvermarktung investieren, wie man es auch für seine Kunden tun würde. Um das Buzzword-Bingo voll zu machen: think outside the box.
Inside the box
Nun ja. Bildschirmfüllende Hintergrund-Slideshow mit CSS-Animationen, Call-To-Action-Button zum Kontaktformular an der Seite, ein Suchformular, das nach Klick auf’s Lupen-Icon von oben herunterklappt. Große Schrift (aber dünner Font), Outline-Buttons, Scroll-Animationen und animierte Pie-Charts. Auch der allseits beliebte Elevator-Button durfte nicht fehlen, und natürlich eine Navigationsleiste, die am oberen Bildschirmrand klebt, sobald man abwärts scrollt.
Was läuft „unter der Haube“? Eine Wordpress-Seite mit einem gekauften Premium-Theme, das quasi gar nicht angepasst wurde. Letzteres läuft (Überraschung!) ausnahmsweise nicht auf Bootstrap-Basis (hätte es aber genauso gut können), sondern setzt auf einen Page-Builder. Mit anderen Worten: die Seite ist nach dem Baukastenprinzip aus fertigen Teilen zusammengesetzt und damit etwa so kreativ und innovativ wie ein Fertighaus in einer Neubausiedlung, in der alle Häuser gleich aussehen.
Das Baukastenprinzip is killing us
Es kann primär wirtschaftliche Aspekte für so ein Vorgehen geben – ein Wordpress ist vielleicht schon seit Jahren in Betrieb, die Auswahl an fertigen Themes ist so enorm, dass man für kleines Geld schon tolle Dinge bekommt, den redaktionellen Teil kann man dank Page-Builder ganz simpel selbst machen und hat somit alles selbst in der Hand, anstatt Agenturstundensätze zu zahlen und endlose Meetings aussitzen zu müssen. Nachvollziehbar. Auch das erklärt aber nicht, warum man sich dann für etwas entscheidet, was aussieht wie jede andere Website auch. Es sei denn, es gibt nichts anderes mehr.
Alle Baukästen, seien es UI-Frameworks, Page-Builder oder die berüchtigten „1-Klick-Lösungen“, haben eines gemein: Die Menge der Elemente, die sie enthalten, ist ebenso endlich wie die Anzahl der möglichen Kombinationen. Die Möglichkeiten, sie anzupassen, verlaufen etwa umgekehrt proportional zu ihrer Kompliziertheit; je weniger Grundwissen man oberflächlich benötigt, desto weniger kann man üblicherweise Elemente den eigenen Bedürfnissen anpassen. Die Auwahl der verfügbaren Elemente beschränkt sich natürlich darauf, was „der Benutzer kennt“. (Den Satz „Unser Mitbewerber hat da so eine Slideshow auf seiner Homepage, das finden wir auch ganz gut.“ dürfte so ähnlich wohl jeder in der Branche schon einmal gehört haben.)
Outside the box & off the clock
All das mag unausweichlich auf das hinaus laufen, was Nils im letzten Adventskalender der Webkrauts prophezeit hat – Webdesign industrialisiert sich und damit beginnt halt auch die automatisierte Massenproduktion in hohen Stückzahlen zu günstigen Preisen, und auch die hat in anderen Bereichen immer einen DIY-Trend nach sich gezogen. (Hände hoch, wer schon mal selbst Bier gebraut hat!)
Ich halte modular designte System aus wiederverwendbaren Komponenten auch für den richtigen Ansatz, aber ich glaube, wir müsssen dringend weg von diesem „Baukastenprinzip“, und vielleicht ist der beste Weg dazu, einfach wieder mit weniger anzufangen – so wie Kinder auch kein fertiges LEGO®-Set samt Aufbauanleitung brauchen, sondern auch aus einer wilden Mischung nicht zusammen gehörender Steine etwas Tolles bauen können.
Gleichzeitig bin ich der festen Überzeugung, dass der entscheidende Faktor für das Gelingen eines Webprojektes Zeit ist. Zeit, Dinge in Ruhe zu durchdenken und mit ihnen zu spielen. Wir sparen doch angeblich so viel Zeit, weil wir Toolketten und Frameworks verwenden – aber hat irgendjemand das Gefühl, dass wir dadurch mehr Zeit bekommen? Irgendwer wird dazu vermutlich „Zeit ist Geld“ kommentieren, und das stimmt natürlich. Vielleicht müssen wir auch das irgendwie ändern.